Energienews


10.11.2020

Studie fordert Verknüpfung von Wasserstoff und Erneuerbaren

Die in der nationalen Wasserstoffstrategie geplante Produktion von Wasserstoff mittels Elektrolyse lässt den Strombedarf steigen, doch die Erneuerbaren-Ausbauziele halten damit zumindest bis 2030 nicht Schritt. Für die Elektrolyse komme dann Kohlestrom zum Einsatz, warnt Aurora Energy Research.

Im Zentrum vieler nationaler und EU-weiter Corona-Konjunkturprogramme stehen Investitionen in erneuerbare Energien sowie in kohlestoffarme Infrastruktur, Transport, Wärme und Industrie. Auch die deutsche Bundesregierung hat eine Reihe politischer Maßnahmen beschlossen, mit denen die Klimaziele für 2030 und 2040 erreicht werden sollen. Dazu gehören unter anderem die im Juni vorgestellte nationale Wasserstoffstrategie und neue Ziele für den Ausbau der Offshore-Windenergie. Die Maßnahmen seien „in der geplanten Form weit entfernt von dem, was zum Erreichen der Dekarbonisierungsziele erforderlich ist. Im ungünstigsten Fall könnte die Wasserstoffstrategie die Treibhausgasemissionen sogar zunächst steigen lassen“, so eine Studie von Aurora Energy Research.

In ihrer Analyse haben die Aurora-Experten durchgerechnet, wie sich die Vorhaben der Bundesregierung auswirken, wenn sie jeweils wie geplant umgesetzt werden: Während der Ausbau der Offshore-Windkraft die Emissionen reduziert, lasse die geplante Produktion von Wasserstoff per Elektrolyse den Strombedarf ansteigen. In der Bilanz gleichen sich beide Effekte gerade mal aus, mit der Folge, dass der Stromsektor trotz des Windkraft-Zubaus nicht kohlenstoffärmer wird. „Der Erneuerbaren-Anteil am Strommix steigt nicht schnell genug“, sagt Jan-Lukas Bunsen, Projektleiter im Berliner Büro von Aurora Energy Research. „Das heißt, dass für die Elektrolyse auch Kohlestrom zum Einsatz kommt und der so produzierte Wasserstoff somit zunächst klimaschädlicher ist als der aus Erdgas gewonnene so genannte graue Wasserstoff.“

65-Prozent-Ziel bei Erneuerbaren würde verfehlt

Die Studienautoren sehen die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung dennoch als richtigen Schritt, um Sektoren zu dekarbonisieren, in denen der direkte Einsatz von Elektrizität schwierig oder unmöglich ist, etwa die Stahl- und die Chemieindustrie. „Es ist wichtig, das Thema Wasserstoff jetzt hochzufahren“, sagt Bunsen. „Allerdings ist entscheidend, dass parallel zum Hochfahren der Elektrolyse der Ausbau der Erneuerbaren im nötigen Maße gelingt. Denn sonst steigen nicht nur die Treibhausgasemissionen kurz- bis mittelfristig, sondern es wird auch schwierig, das Ziel von 65 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromnachfrage bis 2030 zu erreichen.“ Wie die Studie zeigt, würde bei Umsetzung der aktuellen Pläne der steigende Strombedarf für die Wasserstoffproduktion dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien bis 2030 gerade mal 55 Prozent Marktanteil erreichen. „Um das 65-Prozent-Ziel trotzdem zu erreichen, müssten die heute installierten 125 Gigawatt erneuerbare Stromerzeugungskapazität bis 2030 fast verdoppelt werden – das ist mit den aktuellen Ausbauzielen der Bundesregierung nicht erreichbar“, sagt Bunsen.

Die Studienautoren empfehlen daher, Wasserstoffwirtschaft und Erneuerbaren-Ausbau als Gesamtpaket zu betrachten und Maßnahmen eng aufeinander abzustimmen: „Nur durch diese Koppelung lässt sich sicherstellen, dass der per Elektrolyse hergestellte Wasserstoff auch wirklich kohlenstoffärmer ist als der aus Erdgas erzeugte“, sagt Bunsen. „Zudem lassen sich dann auch wirtschaftliche Synergien erreichen.“ So könnten zum Beispiel die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Projekten ihre Einnahmen um bis zu 4 Prozent steigern, wenn sie ein wetterbedingtes Strom-Überangebot an Wasserstoffelektrolyseure verkaufen. „Solche positiven Rückkopplungen beschleunigen wiederum den Erneuerbaren-Ausbau, bei gleichzeitig geringerem Subventionsbedarf.“

Umstellung industrieller Anlagen dauert und kostet

Doch nicht nur Wasserstoffproduktion und regenerative Stromerzeugung müssen aufeinander abgestimmt werden. Zum Gesamtpaket gehört auch der nötige Ausbau der Stromnetze, zumal viele neue Windkraftanlagen in Meeresgebieten errichtet werden sollen, die bisher weder dafür genehmigt noch an das Stromnetz angeschlossen sind. Die Studie kommt daher auf mindestens 11.000 Kilometer neue Leitungen bis 2030. Zudem muss auch die Infrastruktur für Transport und Speicherung des Wasserstoffs geschaffen werden. Und: Um gleichzeitig mit dem Hochlauf der Produktion von Wasserstoff auch dessen Nutzung zu steigern, müssen vor allem industrielle Anwender rechtzeitig mit dem Umbau ihrer Anlagen beginnen, denn dieser dauert je nach Einsatzbereich mehrere Jahre. Auch die Kosten dafür sind zu berücksichtigen: Die Aurora-Experten gehen davon aus, dass die Umstellung von Infrastruktur und Industrieanlagen auf Wasserstoff zwei- bis viermal so viel kosten wird wie die nötigen Subventionen für die Wasserstofferzeugung aus erneuerbaren Energien.

Als Fazit empfehlen die Studienautoren daher ein politisches Gesamtkonzept, das alle Aspekte der Wasserstoffwirtschaft und ihre Implikationen für die Beteiligten berücksichtigt. Dazu gehört die Frage, wie etwa Stahl- und Chemieunternehmen bei der Umstellung ihrer Anlagen auf Wasserstoffbetrieb unterstützt werden. Auch der Bau und Betrieb der Infrastruktur zum Transport und Speichern des Wasserstoffs muss geregelt und Förderanreize gesetzt werden. Ebenso braucht es ein System zur Zertifizierung des Wasserstoffs, um kenntlich zu machen, aus welchen Quellen er stammt und wie klimafreundlich er ist. Gut gemacht, kann ein solches System die Nachfrage nach tatsächlich grünem Wasserstoff steigern und so den Ausbau der Erneuerbaren zusätzlich fördern. „Entscheidend ist, dass die Politik möglichst bald klare Rahmenbedingungen setzt, an denen sich die Marktteilnehmer orientieren und ihre Entscheidungen ausrichten können“, sagt Bunsen. „Denn der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft erfordert erhebliche Investitionen, die nur fließen werden, wenn die Geldgeber langfristig Planungssicherheit haben.“ Quelle: Aurora Energy Research / pgl

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